Der Tag begann schon hoch interessant, respektive sehr nervig.
Ich habe um 10 Uhr mit dem Sprachmittler an der albanisch/kosovarischen Grenze
abgemacht. Das hiess früh aufstehen und rechtzeitig abfahren. Bei
den gegebenen Strassenverhältnissen rechnete ich für die 90 Kilometer
und den Grenzformalitäten mit 3 Stunden. Also Abfahrt um 7 Uhr.
An mir sollte es nicht liegen. Genau um 6:50 Uhr startete ich
durch. Allerdings kam ich nicht weit. Das Tor war in der Nacht geschlossen und
verriegelt. Dabei habe ich es gestern ganz genau kommuniziert. Der
Typ sagt einfach durchs Band ja, ja, ja, aber verstanden hat
er wohl gar nichts. Ich stand also hinter dem Tor. Was war zu tun.
Ich war mutterseelenalleine. Das hiess, dass ich in einem Notfall
nicht einmal wegfahren konnte. Die spinnen doch!!!
Ich hupte...ich rüttelte am Tor... ein riesiger Lärm...niemand
scherte sich darum. In der folgenden halben Stunde gingen viele Leute
am Tor vorbei, aber niemand konnte mir weiterhelfen. Ich
veranstaltete weiterhin einen riesigen, wirklich nicht überhörbaren
Lärm. Was soll das? Endlich kam ein Mann vorbei, der den Arbeiter des Stellplatzes
kannte. Er ging zum Hause dessen Bruders. Dieser telefonierte nicht
sofort dem Zuständigen, sondern bemühte sich gemütlichen Schrittes
zum verschlossenen Tor um die Misere persönlich zu begutachten.
„Scheisse!!!! Macht mir endlich das Tor auf!!!“
Mit einer Stunde Verspätung konnte ich dann endlich losfahren.
Ich wollte sofort den Sprachmittler anrufen, um den Termin zu verschieben, als
zufällig mein Blick auf die Autouhr fiel. 6:55 Uhr. Wie kann das sein? Aha, ich hatte meinen Wecker nicht auf die Winterzeit
zurückgestellt. Also, alles im grünen Bereich.
Die Fahrt war sehr mühsam und anstrengend. Obwohl es meistens
über die Autobahn ging, war ich meiner Autoachsen nie ganz sicher.
Die vielen Brückenübergänge schlugen jedes mal vernichtend auf
die Achsen ein. Sie waren gut signalisiert und da ich um diese Zeit
beinahe alleine unterwegs war, konnte ich abbremsen und diese
Schlaglöcher mit gemässigtem Tempo überfahren. Meinem total
überladenen Auto bekamen diese Schläge natürlich trotzdem überhaupt nicht;
ob mit 20 oder mit 40 Stundenkilometern spielte da keine grosse Rolle
mehr.
Endlich kam ich an der Grenze an. Die Zöllner behandelten mich sehr höflich. Klar musste ich noch
diese zusätzliche Autoversicherung abschliessen und die
Passkontrolle über mich ergehen lassen, aber in Bezug auf die
Freundlichkeit könnte sich mancher Schweizer Zöllner eine Scheibe
abschneiden. Unglaublich...wie schon auf der Fähre bedankten sich
die Männer für die Hilfsgüterlieferung und meine Arbeit.
Mit dem Sprachmittler, der mich auf der kosovarischen Seite der Grenze
erwartete, fuhren wir zuerst mal in ein Restaurant um etwas zu
trinken und um uns über das weitere Vorgehen zu besprechen. Wir
einigten uns auf die Dörfer die wir anfahren wollten. Der junge Mann bekam
grosse Augen, als er die tollen Jacken und Schuhe sah. Ganz glücklich
zog er sich eine der teuersten Markenjacken über. Er hat einen guten
Blick für Qualität. Wie ich bald erfahren sollte, haben die
Menschen im Kosovo allgemein einen guten Blick für Qualität.
Im Dorf
Hoqë e vogël wurden wir mit Begeisterung aufgenommen. Wie ja schon in
einem früheren Bericht erwähnt, handelt es sich hier um ein Dorf,
in dem im Krieg gerade mal ein Mann überlebt hat. Er überlebte,
weil er sich bei der Hinrichtung der Männer geistesgegenwärtig tot gestellt hatte. Er ist jedoch psychisch ein Wrack und vegetiert durch sein "geschenktes" Leben. Eine traurige Geschichte, ja eine
fürchterliche Geschichte aber auch Politik, die ich nicht beurteilen
kann.
Die erste Frau, die von meinem Begleiter angesprochen wurde, erklärte
sich und ihre Familie als hilfebedürftig. Bei besagtem
Mann handelt es sich um ihren Ehemann.
Die Begeisterung beschränkte sich auf diese Familie, deren Oberhaupt überlebte und schon zweimal vor dem
europäischen Gerichtshof als Zeuge aussagen musste. Ich nehme an,
dafür wurden sie entschädigt. Die Frau dirigierte uns zu ihrem Haus und
dann begann das Einkleiden. Die Jugendlichen waren sehr denkbar und höflich, aber die Familienchefin bekam den Hals nicht voll und wurde so unverschämt,
dass ich den Sprachmittler bat, zusammenzupacken und weiter zu ziehen. Im
gleichen Ort suchten wir dann erfolglos weitere Hilfebedürftige.
Simon hatte Recht mit seiner Aussage, dieses Dorf sei unterstützt
worden und gehöre längst nicht mehr zu den Ärmsten des Landes.
Klar mussten wir Familien finden, die keine Verwandten im Ausland
haben, von denen sie unterstützt werden. Mein Reisebegleiter meinte, die Clans
untereinander würden vorbildlich füreinander aufkommen. Wie ich erlebte, ist er selbst dafür das beste Beispiel. Seine Familie bewohnt drei nebeneinander liegende Häusern. Für
diese Familien ist gesorgt. Trotzdem hatte er keine Hemmung, sich auch für seine Brüder
und deren Familien aus den mitgebrachten Hilfsgütern einzudecken. So funktioniert es hier.
Wir fanden dann weit hinten im Haztal dei wirklich arme Grossfamilien.
Leider hatte ich für die Kinder zu wenig Kleider dabei. Sollte ich
nochmals in den Kosovo fahren, brauche ich dringend Kleider für
Knaben und Mädchen im Alter von 6 bis 12 und Lernmaterial, Papier,
Buntstifte, nonverbale Spiele, Fahrräder für den Schulweg, Frotteewäsche, Schuhe...usw.
Wir verliessen die glücklichen und dankbaren Kinder. Später bedauerte ich, ihnen nicht mehr zurückgelassen zu haben.
Die letzte Familie die wir aufsuchten enttäuschte mich sehr. Sie
bekamen zwar die beiden Fahrräder, aber ausser dem Vater war
eigentlich niemand dankbar. Die Kleider waren ihnen zu gross oder nicht
schön genug und es wurde ein Gesicht gezogen, als ob wir ihnen
Abfall aufschwatzen wollten. Dahin werde ich kaum ein zweites Mal
fahren.
Im Prizren assen wir noch ein unglaublich frisches und leckeres Kebab für 1.50€ und tranken dazu
einen Blaubeerensaft für 50 Cent. Mein Begleiter fuhr dann
nach Hause und ich blieb auf dem Parkplatz eines grossen Kaufhauses.
Es war noch früh und so wagte ich einen Rundgang durch das
Einkaufscenter. Meine grossen Augen hättet ihr sehen sollen. Da gab
es alles, einfach alles. Und die Preise! Ich frage mich ernsthaft, ob
ich nicht eine Hilfsgütersammlung vom Kosovo in die Schweiz machen
sollte. Ortsansässige meinte zwar, die Qualität sei nicht gut, aber ich
denke eher, die Qualität stimmt schon, nur handelt es sich nicht um
Markenartikel.
Fazit dieses Tages: Ich habe im hintersten Dorf eines Tales drei
Familien angetroffen, die wirklich bedürftig und für jede Gabe
dankbar waren. Ansonsten kann ich hier nicht von Armut reden. Gemessen
an der Kaufkraft geht es den Leuten hier in Prizren besser als vielen
Schweizerfamilien. Hat mir das nicht schon Simon gesagt?
Ich muss
dringend meine Einstellung ändern und eine Zielgruppe für die
vielen Hilfsgüter, die noch im WOMO sind, finden,. Mein Sprachmittler will nicht
mit nach Malisheva kommen und alleine dahin zu gehen sei zu
gefährlich. Dieses „zu gefährlich“ habe ich jetzt dann gehört.
Immerhin bin ich unbeschadet im Kosovo angekommen und mitten in
Prizren auf einem belebten Parkplatz zu übernachten scheint mir um
einiges gefährlicher zu sein, als die Dörfer in Malisheva
aufzusuchen. Aber ich will mir dann keine Vorwürfe machen lassen.
Ich vermeide zu provozieren.